Unsere Nachbetrachtung zum NOHOGESA-Wochenende am 24./ 25.10 2015
Am 25. Oktober 2015 wollten die „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) den Jahrestag ihrer Ausschreitungen in Köln feiern. Doch daraus wurde nichts – die Party endete in einem einzigen Desaster und für einige sogar im Krankenwagen. Rund 750 Neonazis und Rassist*innen waren nach Köln gekommen und trafen auf vehementen Protest von über 20.000 Menschen aus den verschiedensten politischen Spektren. Mit einer kraftvollen Demonstration am Vortag wurde darüber hinaus klargemacht, dass es uns um viel mehr als nur „gegen Nazis“ geht – nämlich auch um die politische und gesellschaftliche Stimmung, aus der Strömungen wie HoGeSa entwachsen und gedeihen können.
Ein Blick zurück
Als wir vor 5 Monaten erfuhren, dass HoGeSa wieder nach Köln wollte, hatten wir uns vorgenommen mit unserer Kampagne sowohl im Bündnis „Köln gegen Rechts“ (KgR) breit zu mobilisieren, als auch mit einer offensiven, überregionalen Mobilisierung antifaschistische Kräfte auf die Straße zu bringen mit dem Ziel HoGeSa zu verhindern. Die folgenden Monate waren anstrengend, aber auch motivierend. Im Rahmen der „Nohogesa“-Kampagne wurden von KgR, aber auch eigenständig dutzende Aktionen gemacht sowie viele Veranstaltungen durchgeführt. Es entstanden Graffiti, Fotos, Texte und Videos, uns erreichten viele Grußworte und Solidaritätsbekundungen. Dafür ein fettes Dankeschön! Was uns besonders freut – viele bisher unorganisierte Menschen engagierten und politisierten sich im Rahmen der Kampagne – darauf gilt es jetzt aufzubauen, denn wir können die Neonazis nur mit Vielen stoppen!
The day before
Wir erleben gerade eine riesige rassistische Mobilmachung in der BRD auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen. Politiker*innen, die fordern, Zäune und Lager zu errichten, Behörden, die Menschen ein Mindestmaß an Versorgung verweigern, Staaten, die durch Asylrechtsverschärfungen Flüchtende kriminalisieren, der ganz normale Nachbar, der – wenn er nicht auf der Pegida-Demo Galgen schwingt – eine geplante Asylunterkunft anzündet, oder der Neonazi, der eine Oberbürgermeisterkandidatin mit einem Messer attackiert und schwer verletzt, weil er deren Flüchtlingspolitik ablehnt. Dieser alltägliche Wahnsinn läuft weiter und wird sich auch zukünftig zuspitzen; HoGeSa ist nur ein Ausdruck davon. Daher war schon zu Beginn der Kampagne klar, dass wir uns inhaltlich nicht nur einer betrunkenen Nazi- und Hooltruppe, die Jagd auf Menschen macht und das Event sucht, beschäftigen können. Reine Anti-Nazi-Arbeit ist zu wenig, wir wollten auch den gesellschaftlichen Rassismus kritisieren und die Mitverantwortung der deutschen und europäischen Politik aufzeigen (Unser Aufruf).
Da dies naturgemäß bei Anti-Nazi-Events weitgehend auf der Strecke bleibt, sollte es am Vortag eine große antirassistische Demonstration geben. Diese war gut besucht und hatte einen offenen Charakter, mit dem alle Beteiligten ein kraftvolles Zeichen gegen die europäische Abschottungspolitik und die neuen Asylrechtsverschärfung setzten. Mehr Beteiligung von Refugees und Willkommensinitiativen hätte uns gefreut, allerdings konnten auch Angriffe durch Neonazis und Rassist*innen im Vorfeld nicht ausgeschlossen werden, was einer der Gründe für deren eher geringe Beteiligung sein dürfte. Einen weiteren Grund sehen wir in der nur punktuellen Zusammenarbeit zwischen einer radikalen Linken in Köln und der Refugee-Bewegung. Hier gilt es in Zukunft, die Kämpfe im Bereich Antifaschismus und Antirassismus zu bündeln und gemeinsam für Bewegungsfreiheit und ein Leben in Würde zu kämpfen.
Der Tag selbst
Schon im Vorfeld wurde deutlich, dass sich ein HoGeSa-Aufmarsch wie im vergangenen Jahr nicht wiederholen würde. Darauf deuteten die Verbotsbestrebungen der Polizei und die geplante, schließlich durchgesetzte Verlegung der Kundgebung auf den trostlosen Barmer Platz hin. Trotzdem wurde von HoGeSa-Seite großmäulig zu einer Neuauflage mobilisiert. Viele angereiste Neonazis und Rassist*innen erhofften sich wohl irgendeine Form kollektiver Erlebnisse, sei es gemeinsam Kategorie C zu lauschen, ein bisschen Pyro zu zünden oder Antifas zu jagen. Daraus wurde jedoch nichts – es kamen nicht so viele Neonazis und Rassist*innen wie erwartet, die Kundgebung verzögerte sich immens, da es kaum gelang, 50 nicht alkoholisierte und nicht vorbestrafte Ordner*innen zu finden, und die Stimmung war mies, was vermutlich nicht nur an den gruseligen Musikbeiträgen lag. Viele Teilnahme willige konnten den Barmer Platz gar nicht oder zumindest nicht unbeschädigt erreichen und einige konnten auch nach Ende der Veranstaltung nicht gemütlich in ihrem (unbeschädigten) PKW nach Hause fahren. Köln war am 25.10. Gefahrenzone für Neonazis und Rassist*innen. Und die waren auch ganz und gar nicht erfreut darüber, dass über 20.000 Menschen ihnen auf der Straße gezeigt haben, dass sie unerwünscht sind.
Bereits die Anreise der Neonazis und Rassist*innen wurde durch Blockaden der Bahngleise – und dadurch bedingte temporäre Einstellung des Zugverkehrs – erheblich erschwert. Zeitgleich beteiligten sich 15.000 bis 20.000 Menschen an einer breiten Bündnisdemo vom Heumarkt zum Deutzer Bahnhof. Dort fand den ganzen Tag eine gemeinsame Kundgebung der Bündnisse „Köln gegen Rechts“ (KgR), „Köln stellt sich quer“ (KSSQ) und „Birlikte“ statt, an der mehrere zehntausend Menschen teilnahmen. Die Bündnisproteste waren in ihrer Gruppenkonstellation, ihren Protestformen und politischen Zielrichtungen sehr heterogen. In ihrem Zusammenspiel sorgten die Bündnisse aus Parteien und Verbänden wie auch von autonomen Antifaschist*innen dafür, dass der Tag für die Neonazis und Rassist*innen im kompletten Desaster endete.
Das sehen wir als großen Erfolg und sagen DANKE an alle, die dazu beigetragen haben. Unser Ziel für den Tag war klar: mehr Menschen auf die Straße zu bringen als HoGeSa und Köln zur No-Go-Area für Neonazis und Rassist*innen machen, um HoGeSa Geschichte werden zu lassen. Da, wo es anfing, soll es enden – ein Comeback von HoGeSa haben wir erfolgreich verhindert!
Zum Abschluss eines erfolgreichen Tages demonstrierten unter dem Motto des Tages „Antifa bleibt Handarbeit“ nochmal rund 3.000 Menschen von Deutz aus zum Kölner Hauptbahnhof. Was wir leider trotz breiter Mobilisierung sowohl ins bürgerliche Spektrum wie auch in organisierte Antifa-Kreise nicht geschafft haben, war eine komplette Verhinderung der Veranstaltung. Kritisch ist sicher das Chaos beim Anreise- und Aktionskonzept zu sehen. Mit besserer Koordination, engerer Zusammenarbeit und mehr Entschlossenheit wäre noch mehr drin gewesen. Die Blockade eines Gleises führte dazu, dass der Anreiseverkehr der Nazis massiv verzögert wurde. Ein paar mehr organisierte Antifaschist*innen zu einem früheren Zeitpunkt im und um den Bahnhof hätte die Anreise vielleicht sogar komplett lahmgelegt. So ist uns das angesichts des massiven Materialeinsatzes der Polizei nicht gelungen – die hatte für den Tag ohnehin vor allem linke Demonstrant*innen zum Feindbild No. 1 erklärt und ihre Prophezeiung mit einem völlig übertriebenen Wasserwerfereinsatz dann auch selbst erfüllt. Geschenkt.
Gute Demonstrant*innen – schlechte Demonstrant*innen
Die reflexhaften und schon obligatorischen Versuche, im Vorfeld wie im Nachhinein „gute“ und „schlechte“ Demonstrant*innen,“ falschen“ und „richtigen“ Protest zu identifizieren und gegeneinander auszuspielen, halten wir nicht nur für unsinnig, sondern (nicht nur) im Fall von HoGeSa sogar für gefährlich. Wir erinnern nochmal daran: im letzten Jahr hatten wir es mit einem riesigen extrem gewaltbereiten Mob aus Nazihools zu tun, die nahezu unbehelligt von der Polizei die Stadt zerlegt, Jagd auf Menschen gemacht und sich dafür gefeiert haben. Dass nun ein paar davon mit Beulen nach Hause mussten, weil sie entweder aus eigener Entscheidung oder von der Polizei geleitet unter die Gegendemonstrant*innen geraten waren, ist kein Grund für eine hysterische Gewaltdebatte. Zumindest ein großer Teil der Teilnehmer*innen von „Birlikte“, darunter auch viele Familien mit Kindern, schienen froh, dass Neonazis daran gehindert wurden, ihre Kundgebung anzugreifen. Dies zeigte sich auch gegen Ende der Veranstaltung, als ein Redner von der „Birlikte“-Bühne dem „Schwarzen Block“ für sein Engagement bei den Blockaden dankte und diesen mit Applaus und Jubel bedachte. Wir danken allen Demonstrant*innen, die auch ihre körperliche Gesundheit aufs Spiel setzen, um Nazis von der Straße zu jagen!
One step beyond
Uns hat dieser Tag gezeigt, dass Antifaschismus auch in Zeiten massiver rassistischer Mobilmachung erfolgreich sein kann. Wenn entschlossener Protest, beherzte Gegenwehr und breite Mobilisierung unterschiedlicher Akteur*innen ineinander greifen und miteinander solidarisch sind. Diese Erfahrungen werden wir brauchen, denn auch wenn wir HoGeSa zum Desaster gemacht haben – es gibt es noch viel zu tun!
In Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen (Miss-) Verhältnisse heißt es jetzt, einen Antifaschismus (weiter-) zu entwickeln, der Bündnisorientierung und offensives Agieren gegen Neonazis und Rassist*innen nicht als Gegensätze, sondern als sich ergänzende Konzepte begreift. Wir hoffen, dass die Zusammenarbeit nicht nur im Rahmen eines Großevents, sondern auch im alltäglichen Kampf möglich ist.